Digitale Geschäftsmodelle entwickeln – das Umdenken findet primär im Kopf statt

Die Nutzung von Medien hat sich durch die Digitalisierung und dank Smartphone extrem verändert. Heutzutage kann man nur noch mit neuen, innovativen und vor allem digitalen Geschäftsmodellen mit dem Wandel mithalten.

Wir sprachen mit Thomas Lennartz, Leiter der Innovations-Werkstatt „spirit‘ 47“des NWB Verlags und Referent des Seminars Digitale Geschäftsmodelle für Fachverlage, worauf (Fach)Verlage bei der Entwicklung besonders achten müssen, und welche Trends es gibt.

Wie lassen sich am besten digitale Geschäftsmodelle entwickeln? Welche Tools gibt es dafür (Ideenfindung, bzw. Umsetzung)?

Digitale Geschäftsmodell-Entwicklung ist heute eigentlich Tagesgeschäft. Tools dafür? Viele Werkzeuge aus der Entwicklung klassischer Geschäftsmodelle lassen sich auf die Entwicklung digitaler Geschäftsmodelle übertragen. Es sind meist die gleichen Werkzeuge. Ob Sie nach Business-Canvas vorgehen, 3×3 o.ä, letztlich muss das digitale Umdenken im Kopf, nicht im Tool stattfinden. Nur dann, wenn Sie als Produktverantwortlicher die Medienvielfalt, die Ihre Kunden in Ihren Produkten wiederfinden möchten, für sich verinnerlichen und „leben“, können Sie auch digitale Produkte konzipieren. Das Umdenken findet primär im Kopf und im täglichen Leben, im eigenen Umgang mit Medien statt. Das Werkzeug für die Konzeption ist dann lediglich Mittel zum Zweck.

Wenn Sie sich auf die neue Medienlandschaft einstellen, wird Ihnen dabei eins zwangsläufig auffallen. Es hört sich klischeehaft an, aber: „die Welt da draußen ist unglaublich schnell geworden!“

Worauf müssen (Fach)Verlage bei der Entwicklung besonders achten?

Wenn Sie für die Umsetzung nur eins mitnehmen möchten, dann das: stellen Sie sich auf das neue Tempo im Markt ein und werden Sie extrem agil. Lange Konzeptions- und Umsetzungsphasen, fernab und parallel zu im Markt anstatt gemeinsam mit dem Markt sind Gift. Raus aus dem Elfenbeinturm, hin zum Kunden. Und beobachten Sie ihn genau, denn er sagt Ihnen, was er will. Aber wir müssen wieder lernen, genauer zuzuhören. Das ist uns in den letzten Jahren vielleicht etwas abhanden gekommen.

Die digitalen Entwicklungskompetenzen des NWB wurden durch eine eigene Marke (spirit’47) und Niederlassung ausgelagert. Wie kam es dazu, bzw. warum war es wichtig, das Innovationszentrum auszulagern?

Da möchte ich zunächst einmal ein Missverständnis aufklären. Der NWB Verlag in Herne ist heute innovativer denn je, und das auch ohne spirit´47. In Herne finden Sie jahrelang entwickelte digitale Entwicklungskompetenz, und das zieht sich durch alle Fachbereiche des Hauses.

spirit´47 ist weder Ersatz dafür noch eine ausgelagerte Entwicklungsstelle. spirit´47 ist eine Innovation Sandbox, in der wir neuartige Entwicklungsmethoden, die in dieser Form in der Praxis noch keinen Einzug gehalten haben, ausprobieren. Wir sind verantwortlich für die Entwicklung von Geschäftsideen und Produkten, die nicht im Kerngeschäft des NWB-Verlags liegen und deren Umsetzung teils alternative Herangehensweisen voraussetzen, die zu den etablierten Schlüsselprozessen im Mutterhaus teils im Widerspruch stehen. Aus dem Grund können wir mit neuen Methoden arbeiten und neue Herangehensweisen testen. Und natürlich auch Produkte an den Start bringen, die weit außerhalb des regulären Handlungsfelds von NWB liegen.

Dabei teilen wir die strategischen Ziele und die Werte des Mutterhauses. Nur ist die Herangehensweise bei der Erreichung unserer Ziele nicht an die üblichen Verfahrensweisen in Herne gebunden.

Welche Erfahrungen haben Sie mit spirit‘47 gemacht?

Wir stecken noch in den Kinderschuhen und aller Anfang ist schwer. Das fängt bei den vom Mutterhaus extrem abweichenden Arbeitsbedingungen an. Es gibt weder feste Arbeitszeiten bei uns noch feste Arbeitsplätze. Gearbeitet wird, wo und wie es passt und so lange, bis wir unsere Ziele erreicht haben. Wir definieren diese Ziele in hohem Umfang selbst, sodass eine sehr starke Identifikation mit unseren Aufgaben besteht. Das ist alles, nur kein „klassischer“ Bürojob mehr.

Unser Team ist klein, aber interdisziplinär besetzt und die Zusammenarbeit läuft täglich in engster Abstimmung. Innerhalb kürzester Zeit erreichen wir so Dinge, die uns früher leicht Monate gekostet hätten. Wir entscheiden die meisten Dinge im gesamtverantwortlichen Team auf Augenhöhe. Die Geschäftsführung in Herne lässt uns dabei einen sehr weiten Handlungsspielraum. Freiheiten, die wir in der kurzen Zeit sehr zu schätzen gelernt haben und mit denen man auch erst einmal umgehen können muss.

Seit ein paar Wochen sind wir mit unserem „Erstlingswerk“, dem „Steuerhamster“ (www.steuerhamster.de) am Start, der keine zwei Monate nach Konzeption heute bereits als Betaversion von Kunden getestet werden kann. Das schnelle Feedback aus dem Markt hilft uns bei der Einschätzung, wie und in welche Richtung wir unser Produkt weiterentwickeln wollen. Entscheidend ist dabei allein, was der Kunde uns sagt, was er will, nicht, was eine/r  von uns in irgendeiner Teamrunde meint, was der Kunde gerne möchte. Das führt auch zu einem ganz anderer Umgang im Team miteinander. Denn keiner muss sich dem anderen beweisen, es geht alleine darum, dass wir „messbar“ herausfinden, was dem Kunden gefällt. Und das klappt bis jetzt sehr gut.

Arbeiten müssen wir noch an dem engeren Austausch mit unserem Mutterhaus in Herne. Aufgrund der sehr autarken Arbeitsweise läuft man Gefahr, sich gegenseitig ein wenig aus den Augen zu verlieren. Hier steuern wir aber aktiv gegen, denn letztlich sind wir stärker, wenn wir, das heißt Mutter NWB und Tochter spirit´47, uns als ein Team verstehen.

Welche Trends sehen Sie bei digitalen Geschäftsmodellen?

Das zu beantworten wäre Gegenstand eines eigenen Interviews, wenn nicht sogar eines oder mehrerer Seminartage. Hier nur ein paar Schlagworte:

Cloud-Dienste: diese werden immer stärker auf Kundenseite, aber auch in unserer eigenen IT-Landschaft Einzug halten und massiv die Art und Weise ändern, wie wir Produkte architektonisch aufsetzen und was Kunden von uns erwarten.

Datenschutz: bedingt durch die immer stärkere Verlagerung von Angeboten in die Cloud bzw. die immer stärkere Nutzung von Cloud-Diensten in der Produkt-IT wird die Sicherheit unserer Daten und der gewissenhafte Umgang mit personenbezogenen Information ein Schlüssel zum Vertrauen unserer Kunden zu uns, in unsere Marken und unsere Produkte werden.

Smart Data: immer mehr Produkte werden dadurch an Relevanz für den Kunden gewinnen, dass sie durch die Analyse großer, vor allem aber auch relevanter Datenbestände Mehrwerte schaffen, die bislang schon allein technisch nicht abbildbar gewesen wären. Geschweige denn, dass solche Mehrwerte überhaupt konzeptioniert worden wären, denn hier kommt der Appetit mit dem Essen und erst der erlernte Umgang mit großen Datenmengen wird und neue Wege aufzeigen, wie diese zum Nutzen unserer Kunden eingesetzt werden können. Das, natürlich, alles vor dem Hintergrund und der Herausforderung, respektvoll mit den Daten unserer Kunden umzugehen. Smart Data und Datenschutz müssen dabei zwingend in Einklang gebracht werden.

Prozessorientierung: Gerade im Fachcontentbereich merken wir, dass Content allein oftmals nur noch die halbe Miete einbringt. Ist der Content aber optimal in die Prozessabläufe des Kundenalltags integriert, ist er also stets zur rechten Zeit im richtigen Umfang verfügbar und idealer Weise noch optimal kontextbezogen auf die persönliche Anwendungssituation zugeschnitten, wird er zum unschlagbaren Mehrwert.

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