Die Rolle des Chefredakteurs hat sich erheblich verändert. Nicht nur Verfahren und Prozesse müssen kontinuierlich optimiert werden. Auch die Qualitätssicherung der Inhalte, vor allem im Hinblick auf eine crossmediale Produktion und der Weiterentwicklung von Geschäftsmodellen, steht immer mehr im Vordergrund.
Wir sprachen mit Dr. Roman Leuthner (Referent des Seminars „Der unternehmerische Chefredakteur“) über die heutigen Herausforderungen und Anforderungen an leitende Redakteure.
Chefredakteure sind in der Pflicht, heute vielleicht mehr denn je, die Redaktion für die Herausforderungen der Digitalisierung und die damit einhergehenden Auswirkungen aufzustellen. Welche Schritte sind hierbei wesentlich und welche Herausforderungen müssen gemeistert werden?
Die digitale Transformation betrifft die gesamte Inhalteproduktion, die redaktionelle Organisation und alle redaktionellen Prozesse. Insofern handelt es sich bei der Digitalisierung um eine umfassende redaktionelle Managementaufgabe. Neben der crossmedialen Strukturierung des redaktionellen Themenportfolios (s. Frage 3) geht es um die Definition von Aufgaben- und Funktionsprofilen für alle redaktionellen Mitarbeiter. Hierbei kann nichts dem Zufall überlassen bleiben, sonst wird nach dem Motto „Schulze, schreib doch auch mal was für Online!“ verfahren. Die Mitarbeiter müssen qualifiziert werden, um attraktive und zielgruppenspezifische Angebote für digitale Channels produzieren zu können. Zusätzlich muss der Wissenstransfer innerhalb der Redaktion für digitales Publishing optimiert werden. Darüber hinaus geht es um die Prüfung der dazu notwendigen Prozesse und technischen Verfahren, denn die Digitalisierung von Inhalten erfordert effiziente Planungs- und Produktionsprozesse, um komplexe Themen kleinteiliger und vielschichtiger verarbeiten zu können. Zusammenfassend möchte ich sagen: Ohne konkrete Planungsvorgaben, qualifizierte Mitarbeiter, definierte Organisationsstrukturen und effiziente Prozesse kann die Digitalisierung nicht gelingen.
Chefredakteure werden oft als Marken- und Qualitätsmanager gesehen. Was bedeutet das und welche Anforderungen lassen sich daraus an redaktionelle Führungskräfte ableiten?
Gute Chefredakteure haben sich schon immer als Marken- und Qualitätsmanager verstanden, da sie „ihre“ Medienmarke in der Öffentlichkeit repräsentieren und mit ihrer Person – quasi als Unternehmer in eigener Sache – stehen. Ebenso haben sie idealerweise für die kontinuierliche qualitative Verbesserung der Marke innerhalb ihres Teams und in ihren Märkten gearbeitet. Aktuelle Untersuchungen wie beispielsweise das Trust-Barometer von Richard Edelman zeigen unterdessen, dass die Bildung einer „Eigenmarke“ für Journalisten in Zeiten des Vertrauensverlusts in die Medien von großer Bedeutung ist. Umso mehr gilt, das für redaktionelle Führungskräfte, die mit klaren Vorgaben und mit deutlichen Ansprüchen an Qualifikation und Qualität intern und extern überzeugen können. Diese Vorgaben umfassen den Dreiklang „Personal – Prozesse – Produkt“ und können mit dem Begriff „Haltung“ charakterisiert werden. Darüber hinaus müssen sich Chefredakteure/Chefredakteurinnen profundes Wissen über betriebswirtschaftliche und strategische Zusammenhänge in der Medienproduktion aneignen.
Was sind Ihrer Meinung nach die Grundpfeiler einer crossmedialen Inhalteproduktion und wie kann man diesen gerecht werden?
Die crossmediale Inhalteproduktion erfordert ein strategisches Themenmanagement, das die komplette Themenwelt der Redaktion umfasst und von der Themenfindung, -recherche und definition über ihre crossmediale Strukturierung bis zur Distribution in verschiedenen Kanälen reicht. Dabei muss in Abhängigkeit von den Mediennutzungsgewohnheiten der jeweiligen Zielgruppen geklärt und definiert werden, wann und welche Beiträge in welchen journalistischen Formaten und in welchen Kanälen publiziert werden. Dazu stelle ich in unserem Seminar „Der unternehmerische Chefredakteur“ praxiserprobte Tools wie die Themen-Formate-Matrix sowie die Technik des Storyboards und der Timeline zur Verfügung. Darüber hinaus erfordert die crossmediale Inhalteproduktion eine vorausschauendere Planung mit einem weiteren Planungshorizont sowie neue Formen der bereichsübergreifenden Kooperation zwischen Verkauf, Marketing und Redaktion.
Bleibt bei all diesen Themen wirklich noch Zeit für die journalistische Qualität und die Weiterentwicklung eines Mediums?
Aber ja. Unternehmerisch agierende Chefredakteure/Chefredakteurinnen denken und planen nach dem Kosten-Nutzen-Prinzip und fragen jeweils:
- Was muss ich einsetzen, um meine Ziele zu verwirklichen?
- Steht dieser Einsatz in einem gesunden Verhältnis zu seinem erwarteten Nutzen?
Diese ökonomische Herangehensweise führt zu einer neuen Form von Qualität, zu einer redaktionellen Qualität, die aufgrund von Effizienzkriterien nachvollziehbar und messbar wird. Hierzu benutze ich ein redaktionelles Total-Quality-Management-System, das auf acht Prinzipien beruht. Zugleich wird durch die höhere Effizienz in Produktion und Organisation Arbeitszeit frei – kostbare Zeit für kreative Prozesse, für die Weiterentwicklung von Medienprodukten und für die Arbeit an neuen digitalen Geschäftsmodellen. Zugespitzt würde ich es so formulieren: Erledige die Pflicht, dann hast du Zeit für die Kür!